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14.03.2023
Zeitzeugenbericht - passend zu meinem Buch
Ein Leser meines Buches hat mir kürzlich einen interessanten Zeitzeugen Bericht zukommen lassen. Er ist einverstanden damit, dass ich aus seiner Mail zitieren darf. Danke dafür.
Für ihn begann alles genau drei Jahre früher als mein erster Bordeinsatz. Er war Techniker und daher genauso wichtig an Bord wie Nautiker.
So beginnt er seinen Zeitzeugenbericht:
„Im Jahre 1969 begann ich nach abgeschlossener Maschinenschlosserlehre mit der Seefahrt.
Der Norddeutsche Lloyd akzeptierte meine Bewerbung und ich stieg als Ingenieursassistent auf einem typischen Stückgutfrachter im Dienst an Südamerikas Westküste ein.
Ich kann Ihre Eindrücke aus Santos bestätigen, denn auch die Häfen an der Westküste waren ein wahres Freudenfest.
Im Gegensatz dazu waren die Bedingungen an Bord nicht sehr erfreulich, da es erhebliche Alkoholprobleme und Exzesse gab, verbunden mit Schlägereien und Verletzungen durch Schraubenzieher als Stichwaffe.“
Ja, das habe ich auch gehört, so etwas gab es leider auch. Ich war davon verschont geblieben. Erst als Kapitän habe ich so etwas mit der kroatischen Crew erlebt und dann handeln müssen. Später nochmals solche unerfreulichen Dinge mit einer Crew aus Kiribati und das ausgerechnet bei „meiner“ Hamburg-Süd!
„Besonders traurig war die Rolle des Kapitäns, der eine unangenehme Bierlaune hatte. Der betagte Chief Ingenieur trank nichts, denn er hatte eine Entziehungskur hinter sich. Besagter Kapitän H. fiel Anfang der siebziger Jahre auf, als er, längst vom NDL entlassen, auf einem Frachtschiff als erster Offizier einen Blinden Passagier im Roten Meer über Bord warf. Der Prozess fand, soweit ich mich erinnere, in Bremerhaven statt und endete mit Lebenslänglich.“
Das ist das schlimmste, was ein Seemann auf See machen kann!
Mit seiner Beschreibung über die Ausbildung an Bord und seinen Vorgesetzten geht es so weiter.
„An Bord fanden keine Schulungen statt. Man erwartete einfach, dass ich einen Wachbetrieb aus dem Stand selbständig durchführen konnte, da man mir die Ventile für Hafen und Seebetrieb gezeigt hatte, sowie die Lenzventile. Auch bei der manuellen Temperaturregelung der Kolbenkühlung ließ man mich experimentieren, kommentierte Fehler mit Häme und bezeichnete mich als schwach begabten Menschen, der nie die Hochschule schaffen wird.
So etwas wie Kameradschaft oder gute Kollegen lernte ich erst auf meinem dritten Schiff kennen, einem modernen Schnellfrachter mit halbautomatischer Steuerung der Haupt- und Hilfskreisläufe. Dort unterrichtete mich mit Eifer der zweite Ingenieur und auch der Chief hatte ein paar wohlwollende Worte für uns Assis übrig.
Auf meinen drei ersten Schiffen waren die Besatzungen zu 90% deutsch. Einige befahrene Portugiesen und Spanier fügten sich reibungslos in den Schiffsbetrieb, denn es waren erfahrene Matrosen aus der Fischerei. Natürlich gab es Ärger mit zwei Türken, die ihre eigenen Vorstellungen hatten und auch dem Bootsmann widersprachen. Beide waren keine guten Seeleute.
1972 musterte ich ab und begann mein Studium der Schiffsbetriebstechnik an der Hochschule für Technik in meiner Heimatstadt Bremen.
Zwischendurch machte ich eine Reise auf dem ersten Vollcontainerschiff des NDL, ein neues Schiff mit der sagenhaften Kapazität von 750 TEU und vorwiegend deutscher Besatzung.
Das Studium verlief gemäß alter Tradition an Ingenieursschulen in Klassenverbänden. Erst am Ende des Studiums kamen Reformen an die Schule, die einst Technikum, dann Ingenieursschule und endlich Hochschule für Technik hieß. Aus Paukern wurden über Nacht Professoren. Es wurde gegen die Ausbildungsreform zum SBO demonstriert. Und auch das Thema «Schiff der Zukunft» wurde heiß diskutiert.
Wir machten unseren Abschluss als graduierte Ingenieure der Schiffsbetriebstechnik, was durch ein Diplom mit der Bezeichnung des Diplomingenieurs aufgehübscht wurde, allerdings mit dem Zusatz FH im Gegensatz zum Universitätsabschluss als Diplomingenieur FU.“
„Damit begannen die Umbenennungen, die heute in den Abschlussbezeichnungen mit ‚Bachelor‘ oder ‚Master‘ gipfeln.
Das bedeutet jedoch, dass der einstmals hohe Standard und Praxisbezug des deutschen Ingenieurs, bzw. des Schiffsingenieurs, der den längsten Praxisnachweis aller Ingenieure liefern musste, auf europäische oder schlimmer, globale Standards herab nivelliert wurde.
Somit werden nun ‚globalisierte‘ Schiffsingenieure produziert, die den Anforderungen der modernen Seefahrt angepasst wurden, nämlich ein Schiff von A nach B zu befördern und weiter nichts.“
Da haben wir es nochmals als Bestätigung zu meinen Ausführungen in meinem Buch. Also auch im Ingenieursbereich wurde kräftig Kleinholz hinterlassen! Weiter geht es mit seinem Bericht über den Verfall:
„Nach dem Studium stieg ich als ‚zweiter‘ zweiter oder 2B Ingenieur auf einem Massengutfrachter ein. Es gab eine gute Bezahlung durch Prämien für Instandhaltungsarbeiten, die dann nicht von einer Werft ausgeführt werden mussten, aber es waren sechzehn Nationen unter vierundzwanzig Besatzungsmitgliedern. Das war ein Schock, denn ich hatte Probleme die Reiniger und Motormänner an die Arbeit zu bekommen. Es hieß also größtenteils selbst anfassen und selber machen, damit die Arbeit erledigt wurde. Das „Personal“ hielt sich dezent im Hintergrund.“
Die Folge war, dass sich der sehr gut ausgebildete Techniker anderen Aufgabengebieten widmete und sich schließlich umorientierte:
„Glück hatte ich 1978, als ich eine Stelle als Ingenieur im Lizenznehmer Service bei einem französischen Dieselmotorenentwickler in Paris antreten konnte. Die Firma SEMT PIELSTICK war der Marktführer im Bereich der Mittelschnelllaufenden Dieselmotoren. Damals waren die Mittelschnelllaufenden 4-Takt Dieselmotoren günstiger im spezifischen Brennstoffverbrauch und so wurden viele Handelsschiffe weltweit mit unseren Motoren ausgerüstet oder bei Umbauten von Dampf- auf Dieselbetrieb eingesetzt.
Es waren meine schönsten Berufsjahre, denn es herrschte ein technisch sehr hohes Niveau in der Firma und ein gutes kollegiales Verhältnis, dass zum Teil noch heute besteht.
1989 baute ich für einen deutschen Zulieferer der Schiffsantriebstechnik eine Filiale in Frankreich auf, wo ich 29 Jahre bis zum Ruhestand blieb.
Ich kann mein fünfzigjähriges Berufsleben so zusammenfassen, dass ich seit meiner Lehrzeit (Schiffspumpen) bis zum Ruhestand in und für die Schiffbauindustrie arbeitete und auch Borderfahrung hatte, was mir sehr half, denn dadurch war man in der Industrie gut angesehen.
Wie sie meinem Lebenslauf entnehmen können, habe ich beruflich die gesamte Entwicklung der Seefahrt seit 1969 miterlebt, wenn auch nicht ausschließlich an Bord von Schiffen.
Die Veränderungen der Bedingungen in der Seefahrt und für die Seefahrer wurden entscheidend durch die Deregulierung der Finanzmärkte bestimmt, die Anfang der achtziger Jahre unter Ronald Reagan und Maggie Thatcher einsetzte. Getreu der kapitalistischen (!) Maxime ist der größte Einsparungssektor die menschliche Arbeitskraft. Alle anderen Möglichkeiten zur Einsparung sind begrenzt durch Rohstoffpreise und Maschinenmieten, also Faktoren, auf die der Unternehmer kaum Einfluss hat. In diesen Bereichen kann man nur begrenzt sparen. Aber beim Kostenfaktor der menschlichen Arbeitskraft lässt sich trefflich sparen, indem man die Mannschaft reduziert und globalisiert, d.h. die preiswertesten Crews einstellt.
Das begann, wie Sie beschrieben, mit Mannschaften aus Kiribati und Süd-Korea, weiter über weitere bunt zusammen gewürfelte Mannschaften zum heutigen Prinzip, das Schiff ganz in die Hände von Besatzungen einer Nationalität zu legen.
So sehe ich auch Ihr Buch, als eine scharfe Beobachtung und Beschreibung der Veränderungen der Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen bei den ehemals stolzen Reedereien.
Der Reeder Stolz wich dem Buchhaltergeist und die Gewinnmaximierung wurde das Goldene Kalb, um das seit 1990 (Mauerfall und Wiedervereinigung Ost- Westdeutschland!) hemmungslos in Anbetung getanzt wird.
Persönlich wurde ich Zeuge der ersten Opfer der Globalisierung, als Mobil Oil seine gesamte Flotte verkaufte, die Besatzungen und Inspektion entließ und die Schiffe, die inzwischen ausgeflaggt waren, zurück charterte. Dieses Beispiel machte sofort weltweit Schule. So sah ich Besatzungen aller Herren Länder auf den Schiffen, die ich technisch betreute oder Schäden analysierte unter Flaggen von Staaten, von denen man bis dahin nur im Geographieunterricht gehört hatte.
Auch die Bereederungsgesellschaft in Monaco, die Sie erwähnten, V-Ships, ist mir bestens bekannt. Inzwischen bereedert V-Ships über 860 Schiffe aller Art. Die Arbeitsbedingungen in dieser Firma sind grauenhaft. Da sitzen technische Inspektoren wie Hühner auf der Stange an endlos langen Tischen zu zwanzig Personen und starren auf ihre Monitore. In der Frachtabteilung sieht es genauso aus.
Somit konnte ich Ihren Eindrücken und Beobachtungen, die Sie in Ihrem Buch zu Papier brachten, sehr gut folgen, da ich den Wandel auch als Nichtmehr-Seemann zeitnah miterlebte.“
Tja, und hier endet sein Bericht. Ich sage ganz herzlichen Dank an Herrn Rabba für seine Darstellung und dass er mir erlaubt, dies hier zu veröffentlichen.
Genau auf diese Beschreibung der Verhältnisse habe ich in meinem Buch gezielt.
Es ist nicht nur mir allein so ergangen. Da gibt es immer noch genügend Augen - und Zeitzeugen, die das bestätigen können.
Falls mir jemand dazu etwas schreiben möchte, gerne, freue mich über Zuschriften. Über diesen Link ist eine persönliche Nachricht an mich möglich. Wenn der Absender dann noch sein okay gibt, werde ich entsprechende Kommentare gerne hier anhängen.
Vielen Dank - Kapitän i. R. Klaus Mewes
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